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«In meines Vaters Seele hausten vier verschiedene Fotografen»

Im Gespräch mit Marco Bischof, Sohn von Magnum-Fotograf Werner Bischof

«A hidden treasure trove of previously unknown colour images»: Wenn selbst der für sachlich-seriösen Journalismus bekannte Guardian im Zusammenhang mit Werner Bischofs bislang unbekannten Farbbildern geradezu euphorisch von einer «verborgenen Schatztruhe» schreibt, muss es sich fürwahr um etwas richtig Grosses handeln.

Der Mann, der das zweifelsohne einordnen kann, heisst Marco Bischof. Er ist der 1950 in Zürich geborene, erste Sohn des Magnum-Fotografen und amtet seit dem Tod seiner Mutter Rosellina Burri-Bischof im Jahr 1986 als Leiter des Werner-Bischof-Archivs.

Herr Bischof, wieso verdient der Fund dieser zwischen 1939 und 1949 entstandenen Farbfotos Ihres Vaters die öfters gehörte Bezeichnung «historische Sensation»?

Durch diese Entdeckung wird nun klar, dass Werner Bischof mehr ist als der «Klassiker» der Schwarz-Weiss-Fotografie, als der er oft gesehen wird.

Wer also allein seine fotojournalistische Arbeit für die Agentur Magnum schätzte, durch die er weltbekannt wurde, wird nun den Blick auf sein Werk zumindest justieren müssen?

Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und sagen: In meines Vaters Brust wohnten vier verschiedene fotografische Seelen!

Das müssen Sie uns erklären.

Nach Abschluss der damals neuen Fotofachklasse an der Kunstgewerbeschule begann Werner Bischof 1936 als unabhängiger Studiofotograf zu arbeiten. Sechs Jahre danach erhielt er erste Aufträge von Arnold Kübler, dem Gründer der legendären Kulturzeitschrift DU, es ging um Natur- und Kulturgüteraufnahmen, aber auch um Abstraktes und Experimente.

Studie, Zürich, Schweiz 1943
© Werner Bischof Estate / Magnum Photos

Ab 1945 dokumentierte er dann wiederum fürs DU das Nachkriegseuropa: Porträts von schwer gezeichneten Menschen in Trümmern oder mit von Schrapnell zerfurchten Gesichter, Schauplätze wie den Deutschen Reichstag, Ruhmessäulen, zerbombte Brücken. Aufnahmen dieser beiden ersten Phasen – oder eben: fotografischen Seelen, wenn man so will – finden sich nun in Unseen Colour.

Der Reichstag, Berlin, Deutschland 1946
© Werner Bischof Estate / Magnum Photos

Diese Nachkriegs-Dokumentationen entstanden also noch nicht im Auftrag von Magnum?

Nein, da trat er erst 1949 bei – im selben Jahr, in dem er meine Mutter Rosellina Mandel heiratete. Bei Magnum erlernte er das Handwerk des Storytellings. Ab jenem Zeitpunkt arbeitete er vorwiegend als Fotojournalist. Erst in Europa, später dann in Indien, Japan, Korea, Indochina (Kambodscha, Laos, Vietnam) oder Ceylon (heute: Sri Lanka), und das häufig im Beisein von Rosellina.

Damit sind wir bei drei Seelen. Was war die vierte?

Bereits 1952, als Werner Bischof für die Zeitung Paris Match drei Monate als Indochina-Korrespondent tätig war, wurde er der schnelllebigen und von der Thematik her oftmals aufwühlenden Reporter-Arbeit überdrüssig. Er suchte nach neuen Ausdrucksformen, nach langzeitigen, tiefgründigen Projekten. Den Auftakt dazu bildete ein viermonatiger USA-Aufenthalt im Jahr 1953, bei dem er den American Way of Life dokumentierte. 1954 folgte die Reise von New York nach New Mexiko mit Rosellina. Sie flog von Mexiko zurück in die Schweiz, weil die Geburt meines jüngeren Bruders Daniel bevorstand. Mein Vater setzte die Erforschung Latein- und Südamerikas in Panama, Santiago de Chile und Lima fort.

Marco Bischof

Marco Bischof, geboren am 8. April 1950 in Zürich. Vater Werner Bischof (1916-1954), Mutter Rosellina Burri-Bischof (1925-1986), «zweiter» Vater René Burri (1933-2014). Aufgewachsen im Kreise von Magnum Photos. Visueller Gestalter, später Ausbildung Hochschule für Fernsehen und Film, München. Diverse Bücher, Ausstellungen und visuelle Medien zum Werk von Werner Bischof in Zusammenarbeit mit Magnum Photos. Seit 1986 Direktor des Werner Bischof Estate mit Sitz in Zürich. Gründungsmitglied der Stiftung von Magnum Photos in Paris. (tw)

In Peru verlor Werner Bischof im selben Jahr sein Leben.

Ja. Von der Hauptstadt war er in die Anden aufgebrochen, wo er am 16. Mai 1954 beim Absturz seines Wagens zu Tode kam. Viel vom Bildmaterial, das auf diesem letzten Reise- und Lebensabschnitt entstand, wurde von Magnum übernommen.

Wechseln wir vom damals zurück ins Heute, sprich von den Schwarz-Weiss-Fotos zu den nun erstmals zu sehenden farbigen Werner-Bischof-Bildern. Trotz ihres atypischen Charakters – wo ist seine Handschrift klar erkennbar?

In der Kombination von ästhetischer Form und Inhalt! Diese Qualität zeichnet alle seine Reportage-Fotos aus.

Diese Bilder, liest man im Buch Unseen Colour, seien ein erst nicht zu entschlüsselnder Archiv-Fund. Das klingt aufregend und abenteuerlustig – wie war es tatsächlich?

Aufregend und abenteuerlustig (lacht). Es gab von jeder Aufnahme drei scheinbar identische Negative, insgesamt waren es viele hundert Glasplatten.

Von der Hauptstadt war er in die Anden aufgebrochen, wo er am 16. Mai 1954 beim Absturz seines Wagens zu Tode kam.

Von der Hauptstadt war er in die Anden aufgebrochen, wo er am 16. Mai 1954 beim Absturz seines Wagens zu Tode kam.

Marco Bischof

Was tut man, wenn man mit einem solchen Rätsel konfrontiert ist?

Man nimmt Experten zu Hilfe und betrachtet gemeinsam alles noch akribischer. Dabei stellten wir fest, dass die jeweils drei Platten gar nicht identisch waren, dass es minimale Unterschiede gab.

Wie wurde aus den drei Platten die entsprechende Aufnahme?

Die anspruchsvolle technische Restaurierung im Detail zu erläutern, würde zu weit führen. Doch die entscheidende Hilfe kam von einem Scanner. Durch ihn gelang es, die übereinander gelegten Glas-Negative als eine Fotografie zu erkennen. Bei den Prints für die Ausstellung im Masi in Lugano wie auch fürs Buch haben wir diese sich überlappenden Farbränder bewusst belassen, damit das Schichtenprinzip erkennbar wird.

Viele dieser alten Sujets wirken fürs heutige Auge überstilisiert, mitunter gar märchenhaft surreal. Weshalb ist dem so?

Zum einen, weil bei der Farbgebung das intensive Leuchten fehlt, das man heutzutage beim Betrachten von Fotografien als «normal» empfindet. Die historischen Aufnahmen jedoch wirken oft pastellfarben und patiniert, das erzeugt wohl den angesprochenen, märchenhaften Effekt. Hinzu kommt die Absenz der Dynamik: Die meisten Aufnahmen sind statisch, selbst jene, bei denen Menschen bei einer Tätigkeit zu sehen sind.

Lag es an der Kamera?

Das könnte man so sagen, ja. Die verwendete Devin Tri-Color Camera wurde meinem Vater vom Verlag Conzett & Huber, der auch das DU publizierte, zur Verfügung gestellt. Sie war ein fotografischer Meilenstein – allerdings war sie für die in der Regel statische Studiofotografie entwickelt worden, nicht für dynamische Aussenaufnahmen. Selbst bei den vergleichsweise kleinen Abbildungen im Unseen Colour-Buch sind überall da, wo bei der Bildauslösung ein Mensch oder ein Gegenstand in Bewegung war, leichte Unschärfen zu erkennen.

Trocknendes Getreide, Castel di Sangro, Italien 1946
© Werner Bischof Estate / Magnum Photos

Dennoch, auch das kommt im Buch rüber, war das ein legendärer Fotoapparat. Existiert er noch?

Das tut er. Er ist Teil der Sammlung im Musée suisse de l’appareil photographique in Vevey, derzeit und noch bis im Juli ist er jedoch als Leihgabe im Masi zu bestaunen.

Von der Technik zur Grundsatzfrage – weshalb hat sich Werner Bischof überhaupt mit Farbfotografie auseinandergesetzt?

Dafür gibt es wohl mehrere Gründe. Der eine war meiner Ansicht nach sein Pioniergeist. Also die Neugier, auch mit Dingen zu experimentieren, die vom Kanon skeptisch betrachtet wurden – was auf die damalige Farbfotografie zutrifft. Der andere, vielleicht noch wichtigere: Mein Vater hatte eigentlich Kunstmaler werden wollen. Deshalb ging er 1939 nach Paris, um sich dort ein Atelier einzurichten. Der Zweite Weltkrieg hat dieses Vorhaben gestoppt. Aber die Faszination für Farben und deren Anwendung steckt in ihm drin.

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All diese Fragen, die ich Ihnen nun gestellt habe, müssen Sie auch deshalb beantworten, weil Sie seit 1986 Werner Bischofs Archiv und damit seinen Nachlass verwalten. Es wurde also quasi zu ihrer Lebensaufgabe. Sind Sie – Stichwort Übervater – dieser ganzen Sache niemals überdrüssig geworden?

Ich war viereinhalb Jahre alt, als mein Vater in den Anden starb. In diesen viereinhalb Jahren war er arbeitsbedingt öfters abwesend. Das heisst, ich habe ihn vor allem durch die Erzählungen meiner Mutter Rosellina sowie durch die Beschäftigung mit seiner Arbeit kennengelernt. Und dieses Kennenlernen durch seine Arbeit hat nie aufgehört, ich tue das bis heute mit Leidenschaft und Begeisterung, die neuste Facette hat nun zum Projekt Unseen Colour geführt. Ohne esoterisch zu werden – aber dieser Nachlass, der ja nicht nur aus Fotos und Negativen, sondern auch aus wunderbaren Notizen und Briefen besteht, und der mir darüber hinaus die Türe zur Magnum-Welt eröffnet hat, ist ein derart grossartiger Untersuchungsgegenstand, dessen kann man gar nie überdrüssig werden.

Dann ist auch davon auszugehen, dass Unseen Colour nicht die letzte Bischof’sche «Schatztruhe» ist, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird?

Es gibt noch rund 60'000 nicht entwickelte Negative, es könnte also durchaus sein, dass da noch was folgt. (lacht)

Mit Marco Bischof sprach Thomas Wyss

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