Die dritte Person, auf die wir in unserer Reihe 7,5 Fragen an ... das Limelight richten, ist Rachel Lumsden. Die britisch-schweizerische Künstlerin hat im Verlag Scheidegger & Spiess kürzlich Ritt auf der Wildsau. Manifest für die Malerei (Englisch: Igniting Penguins. A Manifesto For Painting) publiziert. Es erscheint parallel zur Ausstellung «Rachel Lumsden – The blazing hot moment und andere Funkensprünge» im Kunstmuseum Thurgau (noch bis zum 17. Dezember 2023).
Es ist ein gewitztes, pfiffiges Buch. Eines, das interessante Phänomene benennt. Eines mit kecken Seitenhieben gegen den Kunstbetrieb in ihrer alten (Grossbritannien) und der neuen (Helvetien) Heimat. Eines – of course! –, das Geschlechterrollen oder Frauenquoten thematisiert und diskutiert. Und eines, das im Untertitel nicht zufällig als «Manifest für die Malerei» bezeichnet wird – es fordert nämlich auf ganz unterschiedlich thematisierte Weise wieder und wieder und wieder ein: «Don’t try, do it!» Also nicht rumjammern, malen! Und zwar volle Pulle! Und natürlich gehört auch dazu, dass frau/man wieder und wieder die Klappe aufreissen muss, weil niemand sonst sich für die eigenen Arbeiten ins Zeug legt.
Wie alle an dieser Serie beteiligten Personen hat auch Rachel Lumsden von uns einen Fragenbogen erhalten, der eigens für sie kuratiert worden ist und sich direkt oder in Anspielungen mit ihrem Buch, ihrem Werdegang oder der Art und Weise ihrer Malerei beschäftigt.
1. Was ist schöner: Der erste oder der letzte Pinselstrich?
Den ersten mach ich verhalten und beklommen. Vom letzten weiss ich oft nicht, dass es der letzte war, wenn ich ihn platziert habe. Und wer sagt, dass es ein Pinselstrich sein muss? Es kann ein Wisch mit dem Studiomopp sein oder ein Stück T-Shirt-Stoff auf dem Finger, mit dem ich ins Bild hineinzeichne. Und eigentlich beginnt das Malen schon mit der Arbeit am Bildträger: Es ist bereits eine künstlerische Entscheidung, den Malgrund auszuwählen. Aber eigentlich wollen Sie ja wissen, ob ich lieber anfange oder aufhöre. Anfangen natürlich ... oder nein ... doch aufhören, weil ich dann wieder anfangen kann?
2. Die offenbar sehr relevante Frage «Darf ich einen Baum mit Vögeln malen?» beantworten Sie im Buch mit «klaro». Darum wollen wir es unbedingt wissen: Welches ist Ihr Lieblingsbild mit Baum-Vögel-Motiv?
Die «barnacle goose»-Illuminationen! Im Mittelalter glaubte man, dass Nonnengänse aus Muschelbäumen, sogenannten «barnacle trees», wüchsen. Deshalb durfte man sie auch an Fastentagen essen, weil sie ihrer Herkunft wegen nicht als Geflügel, sondern – believe it or not – als Fisch galten. Man sieht auf den Bildern, wie ein Baum aus dem Wasser wächst und schwarzweisse Gänse kopfüber daran hängen. Sehr seltsam. Der britische Botanist William Turner, der das 1544 in seinem Buch «Avium praecipuarum» ausführt, war übrigens ein guter Freund von Conrad Gessner.
3. Sogar mit Hilfe der genial einfachen Kniffs und Tricks von Bob Ross habe ich noch nie ein brauchbares Gemälde zustande gebracht. Ihre Diagnose: Gibt es noch Hoffnung, etwas, das ich tun kann? Oder sollte ich mein Geld besser in eine neue Wanderausrüstung investieren?
I suppose, dass Sie es bereits mit der Kraushaar-Methode und den zertifizierten Rotmarderpinseln versucht haben? Und natürlich ist der Bob- Ross-Toaster ein absolut notwendiges Utensil, wenn man in ausgekochte kleine Bilder beissen möchte. Dann müssen Sie nur noch permanent «these happy little trees, these happy little trees» flüstern, und auch Sie werden von einer tiefenentspannten Landschaft in Öl beglückt sein. Und wenn all das versagt, dann vergessen Sie nicht, dass Bob-Ross-Videos vor allem dazu da sind, um einzuschlafen und ins Reich der Träume zu wandern.
Aber eigentlich wollen Sie ja wissen, ob man Painting lehren und lernen kann? Natürlich kann man. Interessant wird es aber erst, wenn die Studentin das Gelernte so nutzt, dass es zu ihrer persönlichen Bildsprache wird.
4. England oder die Schweiz? Gemeint ist natürlich in erster Linie, aber keinesfalls ausschliesslich, die Kunst (unbedingt mit Begründung. Und: «let’s call it a draw» ist als Antwort unzulässig!)
Ich habe drei Jahre an einem Buch geschrieben, das den Brückenschlag zwischen den Kunstszenen in Grossbritannien und der Schweiz versucht. Ihre Frage ist deshalb saugemein! Ich brauche regelmässig eine längere Zeit in London, um mich dort an der Vielfältigkeit und Internationalität vollzusaugen. Das bringe ich dann in die Schweiz zurück und kann es dank eines unerhört grosszügigen Fördersystems entfalten und sichtbar machen. Grossbritannien ist «top heavy» – Kunst gilt nur, wenn man damit Millionen macht. In der Schweiz ist die Kunst viel demokratischer, selbstverständlicher aufgestellt und wird geschätzt, auch als Beitrag zur lokalen Identität. Ich bin künstlerisch und biografisch ganz klar eine «in between»-Existenz und esse am liebsten Alpkäse mit Marmite. Satisfied now?
Die Serie 7,5 Fragen an ... steht stets in Zusammenhang mit einer Neuerscheinung im Verlag Scheidegger & Spiess. Dabei wird einer Person, die direkt oder indirekt mit dem Buch oder dessen Thema zu tun hat, ein Fragenbogen zugestellt, der mit eher ungewöhnlichen Fragen bestückt ist. Diesmal ist diese Person Rachel Lumsden. Die 1968 in Newcastle-upon-Tyne geborene und inzwischen Schweizerin gewordene Künstlerin studierte an der Nottingham Trent University (1987 bis 1991, BA honours, Fine Art) und an der Royal Academy Schools, London (1995 bis 1998, Postgraduate studies). Sie arbeitet seit über 20 Jahren in der Schweiz und war 2007 bis 2019 als Dozentin für Malerei an der Hochschule Design und Kunst in Luzern tätig. Zu den jüngsten Ausstellungen gehören «Vertrauen» im Helmhaus Zürich und Einzelausstellungen in Centre d’ art Villa Bernasconi, Genf, Coleman Projects, London, Galerie Bernard Jordan, Paris.
5. In einem Porträt, das die «Thurgauer Zeitung» über Sie gemacht hat, werden Sie mit der Aussage zitiert: «Manchmal denke ich auch: What the fuck am I doing mit diesen grossformatigen Bildern?» Ehrlich gesagt würde uns das auch interessieren – wie lautet die Antwort?
Grosse Formate sind immersiv. Der Dialog mit ihnen ist nicht nur visuell, sondern auch körperlich. Wenn im Lockdown für Jahre alle Ausstellungsmöglichkeiten wegfallen und ein gridlock – also ein durch Systemüberlastung forcierter Stilland – von Bildern im Atelier stattfindet, dann frage ich mich schon, was ich mit diesen grossen Bildern eigentlich will. Sie brauchen Publikum, andere Augen, um ausserhalb des Ateliers weiterzuleben. Zum Glück funktioniert das jetzt wieder. Und natürlich freut es mich, wenn die Bilder nicht alle zurück ins Atelier kommen, sondern in öffentlichen oder privaten Sammlungen landen.
6. Picasso sagte: «Es gibt Maler, die die Sonne in einen gelben Fleck verwandeln. Es gibt aber andere, die dank ihrer Kunst und Intelligenz einen gelben Fleck in die Sonne verwandeln können.» Was sagt Rachel Lumsden?
Kosmologische Grosstaten überlasse ich den verstorbenen Malerfürsten. Ich interessiere mich weniger für die mediterrane Helle, sondern fürs Zwielicht, in dem Formen ineinander übergehen und man nicht sagen kann, wo etwas beginnt oder endet.
7. Die schlimmste (im Sinne von absurdeste, blödeste, peinlichste etc.) Frage, die Ihnen an einer Vernissage jemals gestellt wurde?
Können Sie mich bitte der Künstlerin vorstellen? Ich habe gesehen, wie Sie mit ihr reingekommen sind ...
Halbe Frage: Ritt auf der Wildsau wird zwar wahrscheinlich nicht auf Platz 1 der Sachbuchhitparade landen, dafür aber …
… wird es zuerst in Jägerkreisen höchste Anerkennung finden, jedenfalls bis sie mit dem Lesen beginnen. Danach wird es zu einem Standardwerk der Aufklärungsliteratur werden, das peinlich berührte Eltern ihrem frühreif kunstinteressierten Nachwuchs in die Hände drücken, mit den Worten: «Alles, was du je über den Kunsttrieb, äh, Kunstbetrieb wissen wolltest, wir dir aber nicht zu sagen wagen ...»
Fragenbogen und Transkription: Thomas Wyss
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