Zahlreiche Skulpturen Brancusis sind von weiblichen Modellen inspiriert. Ausgangspunkt waren realistische Zeichnungen, die er nach und nach in puristische Objekte verwandelte, indem er die Gesichter in die Länge zog, mit der Transparenz des polierten Marmors spielte, die Gesichtszüge auf einfache Linien reduzierte und alles entfernte, was an reale Körper erinnerte (Hals, Oberkörper). Anfang 1910 zeichnete er verschiedene Versionen der Frau mit Haarknoten, wahrscheinlich Porträts von Marie Bonaparte, die den ersten Steinfassungen ähnelten (PH 407 usw.), aus denen später Prinzessin X hervorgehen sollte. Brancusi weigerte sich, in seinen Porträts irgendeine physische Ähnlichkeit mit den dargestellten Menschen herzustellen; er wollte das, wie er sagte, «Wirkliche» (le réel) zeigen, mit anderen Worten «das Wesen der Dinge» oder einer Person. So entspricht das Porträt von Mrs E. Meyer Jr. in Brancusis Augen dem, wie «ein Porträt [von ihr] wirklich aussehen würde», und keinem gestellten, realistischen Porträt, wie es Charles Despiau zur gleichen Zeit von ihr schuf. Für die Porträts von Mademoiselle Pogany fertigte Brancusi zunächst traditionelle Tonstudien an, die er zugunsten einer ersten, auf 1912 datierten Marmorversion verwarf. Die Skulptur wurde von den Kritikern als «auf einem Zuckerwürfel» balancierendes «Ei» mit einer «schnabelförmigen» Nase verhöhnt. Margit Pogany sollte später ein Selbstporträt malen, auf dem sie sich in identischer Pose darstellte, die Hand an der Wange, mit tiefen Schatten unter den Augen und zurückgekämmtem Haar. 1931 schickte sie eine Fotografie an Brancusi, der – vermutlich inspiriert von diesem Bild – noch im selben Jahr eine dritte, länglichere und spitzere Version anfertigte.
Text: Valérie Loth
Der rumänische Bildhauer Constantin Brancusi (1876–1957) ist einer der einflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Er studierte an der École des Beaux-Arts in Paris und wurde zu einem Pionier der Moderne. Seine berühmtesten Werke wie Der Vogel im Raum oder Endlose Säule beeindrucken durch ihre Eleganz und ihre tiefe Symbolik.
«Als ich den Bildhauer Brancusi zum erstenmal besuchte, beeindruckte mich sein Atelier stärker, als eine Kathedrale es jemals getan hatte.»
«Als ich den Bildhauer Brancusi zum erstenmal besuchte, beeindruckte mich sein Atelier stärker, als eine Kathedrale es jemals getan hatte.»
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