Die zweite Person, der wir in unserer Reihe 7,5 Fragen an ... die Bühne übergeben, heisst Jürg Halter. Der Berner Schriftsteller, Lyriker, Spoken-Word-Artist und bildender Künstler hat zusammen mit dem Zürcher Maler Uwe Wittwer das bei Scheidegger & Spiess erschienene, lyrisch-malerische Gemeinschaftswerk Verlassenes Boot treibt Richtung Mond erschaffen.
Wie alle an dieser Serie beteiligten Personen hat Jürg Halter einen Fragebogen erhalten, der eigens für ihn kurartiert wurde – und der sich direkt oder in Anspielung mit seinem neuesten Werk beschäftigt.
1. «The Dark Side of the Moon» oder «Bad Moon Rising»?
Hier kann ich nur sagen: «Junimond» von Rio Reiser. Wie sang er doch so eindringlich schön? «Doch jetzt tut's nicht mehr weh, nee, jetzt tut′s nicht mehr weh, und alles bleibt stumm, und kein Sturm kommt auf, wenn ich dich seh′, es ist vorbei, bye, bye, Junimond, es ist vorbei, es ist vorbei, bye, bye».
2. Als Inspiration für das entstandene Buch ist im Vorwort der japanische Filmklassiker «Ugetsu – Erzählungen unter dem Regenmond» erwähnt. Wie soll sich ein Nicht-Poet einen Regenmond vorstellen?
Erfahren Sie es selbst! Öffnen Sie bei klarem Himmel nachts ein Fenster, richten Sie Ihren Blick nach dem Mond. Und nun warten Sie bis Regenwolken aufziehen. Oh, ja, das werden sie! Das verspreche ich Ihnen im Namen des Mannes im Mond.
3. Malerei und Sprache verhalten sich wie vertraute Geschwister, das Buch wirkt aus einem Guss. Ist es wahrhaftig als Synchronarbeit (selber Ort, selbe Zeit) entstanden? Oder haben Künstler Wittwer und Lyriker Halter erst nach dem Erscheinen von «Verlassenes Boot treibt Richtung Mond» gesehen, wie der Partner gearbeitet hat?
Wir haben uns zwar vom selben Film inspirieren lassen, aber jeder hat für sich alleine gearbeitet. Uwe malte Filmstils, ich schrieb kurze Gedichte. Nach getaner Solo-Arbeit kamen wir zusammen und die Kollektiv-Arbeit am Buch begann; gemeinsam mit der Herausgeberin Mirjam Fischer und der Gestalterin Martina Brassel.
4. Das Buch ist alles andere als farblos, aber dennoch ohne Farbe. Wieso?
Der Film zum Buch ist ebenso schwarz-weiss gehalten. Die Bilder von Uwe sind es auch. So hat sich das mit der Abwesenheit von Farben selbstverständlich ergeben. Aber in einer überbunten und lauten Welt, wollten wir gemeinsam auch bewusst ein stilles, schlichtes und konzentriertes Buch schaffen für das man sich eben Zeit nehmen muss.
Die Serie 7,5 Fragen an ... steht stets in Zusammenhang mit einer Neuerscheinung im Verlag Scheidegger & Spiess. Dabei wird einer Person, die direkt oder indirekt mit dem Buch oder dessen Thema zu tun hat, ein Fragenbogen zugestellt, der mit eher ungewöhnlichen Fragen bestückt ist. Diesmal ist diese Person Jürg Halter, Schriftsteller, Lyriker, Spoken-Word-Artist und bildender Künstler. Unter dem Künstlernamen Kutti MC war Halter bis 2015 eine prägende Figur der Schweizer Musikszene.
5. Kirschblütenfest, Sushi, Tadao Ando, DJ Krush, Murakami, Toyota, Uniqlo oder Wabi-Sabi – Japan steht in unseren Breitengraden hoch im Kurs. Dennoch, heisst es, hätten Europas Menschen keine Ahnung, wie das Land der aufgehenden Sonne tatsächlich ticke. Wie sieht das der Nippon-Kenner?
Kenner bin ich keinesfalls. Aber seit Kindheit von Japan magisch angezogen und doch bis heute auch befremdet. Als ich Japan erstmals besuchte, lernte ich es unvermittelt kennen, auch dessen gesellschaftlichen Abgründe. Ich glaube, gerade auch das, was einem nahe ist, sollte man nie verklären. Aber mit dem mittlerweile 91-jährigen Dichter Tanikawa Shuntarō fand ich in Tokyo einen Lehrmeister, der mir aufzeigte, wie man Tradition, Innovation, kritische Reflexion der eigenen Herkunft und künstlerische Unabhängigkeit spielend verbinden und zelebrieren kann. Die inspirierende Zusammenarbeit für die zwei Bücher («Sprechendes Wasser», «Das 48-Stunden-Gedicht»), die ich mit Shuntarō schreiben durfte, prägt mich bis heute.
6. Mare Tranquillitatis oder Totes Meer?
Am Toten Meer war ich noch nie, hingegen schwimme ich gelegentlich im Mare Tranquillitatis. Dieses Meer der Ruhe ist mein Lieblingsort auf dem guten alten Erdmond. Wie ich jeweils zu diesem gelange? Besser fragen Sie mich nicht.
7. Auf Seite 156 liest man: «Der Erde müde geworden, hält der Mond Ausschau nach Alternativen – er hat Zeit»: Wie hätten diese Lyrics in der gerappten Rough-Version von Kutti MC gelautet?
Kutti MC ist mir längst entglitten irgendwo ins All. Aber ich schrieb vor ein paar Jahren ein sonderbares Buch namens «Mondkreisläufer» und in diesem spricht jemand in einer geschlossenen Anstalt eines Nachts vor sich hin: «Fass dir in den Nacken, schaue aus dem Raumschiff: Was siehst du? Den Neumond? Fliegende Atomkraftwerke? Sterne? Goldballone? Nebel? Oder schwarze Konfetti?»
Halbe Frage: Ein Kunstbuch zu machen ist heutzutage …
Verrückt! Oder mit anderen Worten: Nötiger denn je. Aber nur wenn das Buch mehr als bloss hübsch auf einem Salontisch rumliegend aussehen will.
Fragenbogen und Transkription: Thomas Wyss
Bild und Wort im vielschichtigen Dialog: der Künstler Uwe Wittwer und der Lyriker Jürg Halter
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