Die Menschen des Mittelalters haben sich erstaunlich vielseitig und umfassend mit dem Körper befasst. Dieses Buch, das anlässlich einer grossen Ausstellung im Landesmuseum Zürich erscheint, wirft einen kultur- und kunsthistorischen Blick auf verschiedene körperrelevante Themen von der Geburt bis zum Tod. Die folgenden vier Objekte aus der Ausstellung mit den dazugehörigen Geschichten zeigen, was Sie im Buch (und der Ausstellung) erwartet.
Die ins Spätmittelalter versetzte Momentaufnahme erlaubt einen intimen Blick auf Anna im Wochenbett, kurz nach der Geburt ihrer Tochter Maria. Eine Magd oder Hebamme nimmt das in Leinen gewickelte Neugeborene entgegen, während eine ältere Frau in einem Holzzuber das Bad vorbereitet und die Temperatur prüft. Im Kupferkessel hält sie warmes Wasser bereit. Das Baden des Kindes nach der Geburt war nicht nur wichtig für dessen Gesundheit, sondern könnte in diesem Kontext auch auf die Taufe hinweisen. Die goldenen Heiligenscheine kennzeichnen Maria und Anna als Mutter und Grossmutter des künftigen Gottessohnes Jesus Christus. Detailgetreu werden Kleidung, Mobiliar und die Bettausstattung der spätmittelalterlichen Kammer wiedergegeben.
Hiob aus dem Alten Testament verlor als reicher Mann alles und erkrankte unverschuldet an eiternden Geschwüren. Er wird als älterer bärtiger Mann und in seinem Elend nackt dargestellt. Kraft seines Glaubens überlebte er die Krankheit. Er gilt als eine Allegorie für die Überwindung von unverschuldetem, krankheitsbedingtem Leiden sowie für das Erdulden von Aussatz und körperlichen Schmerzen. Bilder mit dem Kranken Hiob, der als Inbegriff des aufrichtig gläubigen Menschen galt, sollten als moralisierendes Beispiel dienen. Die Darstellung vermittelt anhand der biblischen Episode die christliche Barmherzigkeit. Die Gestik von Hiob und der neben dem Krankenbett stehenden Figur deutet einen Handschlag an, Wasser wird gereicht, der Kranke wird trotz übler Gerüche infolge der Geschwüre umsorgt.
Hartmann Schedel beschreibt in seiner Chronik von 1493 die Erschaffung der Welt. Die Abbildung einer Weltkarte vermittelt das damalige europäische und christlich geprägte Weltbild. Vorangestellt werden 21 verschiedene «Wundervölker» illustriert und beschrieben. Dabei fasst Schedel Beschreibungen von Autoren der Antike und früheren Chronisten zusammen und ergänzt diese. Die «Wundervölker» mit ihren ungewohnten Körpern und Verhaltensweisen stellen das Unbekannte dieser Zeit dar. Ihre Existenz wurde jedoch angenommen und ihr Aussehen mit extremen Bedingungen in ihren Herkunftsländen, wie starker Hitze oder eisiger Kälte, begründet. So haben Skiapoden einen übergrossen Fuss, mit dem sie sich Schatten spenden können, und die riesigen Ohren der Panotii sollen als Schutzmantel dienen.
Im oberen Bereich der Tafeln thront Christus auf einem Regenbogen neben Maria und Johannes. Unter ihnen öffnen sich das Tor zum Himmel und der Schlund zur Hölle. Die in ihrer Nacktheit gleichgestellten, auferstandenen Toten werden entweder von Petrus durch das Himmelstor geleitet oder von teuflischen Gestalten in den Rachen des riesigen Dämons geschoben. Die Qualen und Leiden der Sündigen in der Hölle werden seit dem Spätmittelalter auf möglichst drastische Weise zur Darstellung gebracht, um bei den Betrachtenden bewusst Schrecken auszulösen. Der Altar stand einst in einem Beinhaus mit zugehöriger Kapelle auf dem Friedhof von Sisikon. Ab dem 12. Jahrhundert wurden aus Platzmangel die Knochen längst Verstorbener aus ihren Gräbern gehoben und in einem Beinhaus sichtbar aufbewahrt.
Auszug aus begehrt. umsorgt. gemartert. Körper im Mittelalter. Mit Texten von Christine Keller und Jasmin Pfister
Schauplatz der Gegensätze: der menschliche Körper aus mittelalterlicher Perspektive
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