Es gibt Ehepaare. Und es gibt die Beltracchis. Helene und Wolfgang, «Mucky» und «Mäuschen». Er der genialische Kunstmaler und Falsch-Signierer. Und seine Frau, die Muse und Managerin. Das Paar ist wie Lack und Leinwand, wie Rot und Weiss, zwei Komplizen im romantischen Sinne – ganz egal wo sie gerade miteinander am Händchen gehen.
Wolfgang Beltracchi, 64, und Helene, 56, parken ihren alten Seat und schlendern durchs südfranzösische Marseillan. Im Hafenbecken schunkeln Motorbötchen. Der Mistral hat vor der Lagune Étang de Thau abgedreht, le ciel est bleu, die Austernbänke ruhen in welligem Wasser. Es ist sein erster freier Tag nach Wochen, ach was, nach drei Monaten Arbeit. Herrlich! Soviel wie jetzt habe er noch nie in seinem Leben gearbeitet, erklärt Beltracchi. Sein Malerbuckel werde immer runder. Wir schreiben das Jahr 2015. Da weiss er ja noch nicht, was alles noch kommen und wieviel er in den Folgejahren noch arbeiten wird. Werde, würde, Zukunft, Futur. Jetzt ist jetzt und ein Wortungetüm wie «NFT» war damals noch nicht erfunden. Kunst im Internet – «Was soll das denn sein?» hätte er gesagt. Und sich kaputtgelacht. Für eine Kindersender-Aktion malt und baut er lieber schnell eine Interpretation von Shaun, das Schaf, der britischen Knetgummi-Filmfigur.
In der ersten Maiwoche des Jahres, in dem wir uns kennenlernten, zeigte die Münchner Galerie Artroom 9, die dem Hundertsassa Curtis Briggs gehörte, zum ersten Mal nach Beltracchis Kriminalfall Bilder von ihm in Deutschland. Eigene Bilder. Bilder, die wie Dürer und Ernst, Léger und Schlemmer daherkamen, auf denen jedoch in der Ecke seine Signatur prangte – «W. Beltracchi».
Der Künstler hat damals eine neue Bildsprache für sein zweites Malerleben erfunden und ein neues Genre dazu: Er mischte nun Fernand Léger mit den Tanzfiguren Oskar Schlemmers. Er kreuzte Wassily Kandinsky mit Heinrich Campendonk. Er rubbelte die waldigen Holzmaserungen eines Max Ernst auf Papier und druckte in Linol geschnittene Dürer-Weibchen darauf. Es ist ein modernes Crossover, ein irritierender Blick. «Freiheit» heisst die Ausstellung – im doppelten Wortsinn. Beltracchi ist so frei, seine Kreativität explodieren zu lassen, indem er Altes neu zusammensetzt. Indem er Elemente des Früher ins Heute tuscht. Er hatte vier Jahre im Gefängnis gesessen, zwei Drittel seiner Strafe verbüsst. Nun war er auch äusserlich frei.
Nur zur Erinnerung: Wolfgang Beltracchi hatte in seinem Vorleben Bilder geschaffen, die Maler wie Heinrich Campendonk oder der Surrealist Max Ernst aus seiner Sicht gut noch hätten malen können. Deshalb hat er sie in deren Namen signiert, und seine Frau hat die Bilder mit einer gut erfundenen Legende und einem noch besser erfundenen Sammlungs-Aufkleber auf dem Bildrücken verkauft. Es klang zu einfach, um ewig gut zu gehen.
Aufgeflogen war der jahrzehntelange Millionenschwindel dann, weil Beltracchi in einem Campendonk-Bild «aus reiner Faulheit», wie er sagt, ein gekauftes Weiss benutzt hatte, dessen Farbpigmente zu Campendonks Zeit noch nicht auf dem Markt waren. Kurz drauf ging Beltracchis Kunst-Werkstatt zu Bruch und mit ihm die Scheinwelt des Kunstmarktes. Der Hype, das Geschwurbel, alles. Mit frechem Hippie-Grinsen entlarvte er Experten, Expertisen und Geldmacher, die falsche Gemälde gierig gekauft hatten und zu Höchstsummen «vertitschten», wie Herr Beltracchi es nennt. Manchmal hatte seine Frau «nur» 100ʼ000 Euro für ein Bild erhalten, und es war dann für eine oder vier Millionen weitergehandelt worden. Beltracchi musste für «den ganzen Scheiss» haften und büssen. Und Helene auch. Vier Jahre bekam sie für ihr Zutun.
Das Kuriose war, dass viele Kenner und selbst Nachkommen jener Künstler, deren Werk Beltracchi auf unzulässige Weise «ergänzt» hatte, meinten, er habe oft besser gemalt als die echten Original-Maler.
Das Kuriose war, dass viele Kenner und selbst Nachkommen jener Künstler, deren Werk Beltracchi auf unzulässige Weise «ergänzt» hatte, meinten, er habe oft besser gemalt als die echten Original-Maler.
Das Kuriose war, dass viele Kenner und selbst Nachkommen jener Künstler, deren Werk Beltracchi auf unzulässige Weise «ergänzt» hatte, meinten, er habe oft besser gemalt als die echten Original-Maler. Sogar Experten, die jene 14 Bilder in Augenschein genommen hatten, derentwegen er 2010 angeklagt war, priesen die Kunst seiner Fälschung. Was für eine Peinlichkeit für all jene Expertisen-Götter, die sich von den Beltracchis einst hatten ausführen und unter der Sonne des französischen Südens blenden und verwöhnen lassen! Die Rotweine, die Meeresfrüchte, die Provenienzen. Das Auge ass stets mit.
Beltracchi hat nie einfach bloss Bilder kopiert, die schon existierten. Solche Kopien bestünden, so sagt es der Meister, allein aus «Reue-Strichen». Da sei kein Schwung selbstbewusst und zügig ausgeführt, und Menschen mit gutem Blick hätten das Zittern, das Zögern immer erkannt. Aber bei Beltracchi war nichts. Keine Reue, kein Zittern, kein Zögern. Er führte selbst armlange Pinsel so entschieden als wäre er Monsieur Degas höchstselbst, oder Braque, oder Matisse. Helene und er haben sich damals so akribisch auf jeden der jeweiligen Künstler vorbereitet, bis Beltracchi dessen Bilder und Leben in sich fühlte, wenn er «mit den Ohren, den Augen, den Händen» und mit seinen Gefühlen malte. Klingt komisch, kaum nachvollziehbar, wenn man selbst nie, nicht einmal eine Münze wackelfrei abpausen konnte. Aber er konnte schon als Kind – alles. Und später, sogar mit links, wenn der Maler (Raoul Dufy etwa) ein Linkshänder war. Es ist nicht nur dieses handwerklich überreiche Talent, das Wolfgang Beltracchi zu einem begehrten Künstler macht. Es ist auch seine intelligente Coolness, die lässige Aura.
«Sie sagen, Sie könnten einen Five Million Dollar teuren Max Ernst in drei Tagen malen?», fragte der Starreporter Bob Simon ihn für eine Reportage im US-Sender CBS. «Yes, yes, of course, sure», antwortete Beltracchi, während er auf Knien die Bohlenmaserung einer alten Brücke im Bergischen Land durch die Leinwand rieb, «auch quicker!»
Kleiner Spaziergang ums Hafenbecken von Marseillan. Herr Beltracchi geniesst seinen freien Tag. Er trägt ein à-la-mode-Hütchen, ein Hemd wie florentinisches Schrankpapier und eine Lederjacke mit kittfarbenem Leinenbesatz; eine, wie Rembrandt sie vielleicht tragen würde, wenn er heute noch lebte. Im Gefängnis hat er sich einen Bart stehen lassen. Helene fand, er sähe nun so aus, wie einfache Leute sich einen Maler vorstellten, wie Albrecht Dürer etwa. Vor TV-Auftritten färbt er den mit Acrylfarben in Umbra und Ocker. Er hasst es, alt auszusehen. Eitel, der Mann, why not! Vielleicht hat es kein deutscher Künstler seit Joseph Beuys so gut hingekriegt, sich als Marke zu kreieren wie Wolfgang Beltracchi. Der Hut, der Bart, die bunten Hemden. Der völlige Mangel an ängstlichem Selbstzweifel, an grüblerischem Leiden. Das komplette Fehlen des schmerzhaften Ringens um Eingebung, um Idee. Ihm fehlt diese Pose. Beltracchi ist ein Selbstbewusstseins-Genie, ein durch nichts aufzuhaltender Plänemacher; er ist auch sein eigener Optimismus-Beauftragter. Einmal telefonierten wir um die Neujahrszeit herum. Er lag in einem Krankenhaus auf einer Karibikinsel. Es klang dramatisch, was er erzählte, lebensbedrohlich. Für alle anderen. Für ihn selbst war es nur wie ein winziger Farbfehler auf der ansonsten perfekten Leinwand. Kannste drüber malen. Drama ist für ihn keine Kategorie. «Wenn ich hier rausgucke, nur Palmen», sagte er.
Vielleicht hat es kein deutscher Künstler seit Joseph Beuys so gut hingekriegt, sich als Marke zu kreieren wie Wolfgang Beltracchi.
Vielleicht hat es kein deutscher Künstler seit Joseph Beuys so gut hingekriegt, sich als Marke zu kreieren wie Wolfgang Beltracchi.
Früher, als sie um die Ecke von Marseillan auf «der Domaine» wohnten, einem Gut inmitten von Weinfeldern, da kamen sie regelmässig in die Stadt, um Spargel zu kaufen, die Kinder in die Schule zu bringen und ein Glas Rotwein in der Le Marine Bar zu trinken. Dann, im August 2010, als der Midi Libre berichtete, sie seien verhaftet worden, ihre Häuser durchsucht und ihr plus-ou-moins Sieben-Millionen-Vermögen sichergestellt, da trafen sich die Freunde in jener Marine-Bar, erhoben das Glas und riefen: «Vive l’artiste!» Schon immer hatten charismatische Schlitzohren für die anderen einen gewissen Sex-Appeal.
So ist es bis heute geblieben. Kaum, dass das prachtmähnige Pärchen über den Quai bummelt, kommt der Patron aus der Maison de Camille geschossen und gibt Küsschen. Beltracchi bestellt ein Pfirsich-Melba-Eis und erzählt vom Freigang, vom Gefängnis und davon, dass er nun seit Mitte Januar wieder hier unten im Languedoc lebt und malt. In Montpellier hatten sie eine Atelier-Wohnung gefunden. Dort, im ehemaligen Tanzsälchen des 1880 erbauten Hauses arbeitete er nun auf altem Steinboden und unter hohen Stuckdecken. Pinsel-Armeen, Kreide-Inseln, Tuben-Meere. 250 Quadratmeter «La Boheme». Der Insolvenzverwalter hatte sie genehmigt, zehn Euro der Quadratmeter, warm. Irgendwo musste er ja arbeiten, damit die Gläubiger wenigstens einen Teil ihres als gross empfundenen Schadens zurückerhalten. Später, als der zweite Erfolg lange in trockenen Tüchern war, zogen sie dann in die Schweiz. Beide haben ein Näschen für liebliche Orte und das Finden bildschöner Ateliers.
Auszug aus dem Text von Ulrike Posche
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